Bernd Telle, ein Künstler nicht nur für Nürnberg.

Juli 2012 | Michael Nordschild

Bernd Telle, ein Künstler nicht nur für Nürnberg: Im Zeitalter der Globalisierung hat sich die Botschafterrolle des Künstlers verändert. Er zieht nicht mehr nur aus, um Kunst und Kulturerbe der Alten Welt in die Neue hinauszutragen, sondern findet überall dort draußen so viel Wertvolles, Wissens- und Staunenswertes, dass diese Eindrücke sein weiteres künstlerisches Schaffen wie ein Roter Faden durchziehen. Und so wird der moderne Künstler zum Mittler zwischen den Welten. Oder um es mit einem modernen Begriff zu umschreiben: Er wird zum interaktiven Botschafter der Kulturen.

In keiner Kunstgattung sind die Ergebnisse solcher Schaffensprozesse plastischer, emotionaler und damit direkter erlebbar nachzuvollziehen als in der jungen Kunstgattung der Fotografie. Sie erlaubt Realismus ebenso wie gestalterische Eingriffe, um persönliche Eindrücke des Künstlers zu verstärken und damit das Bild zum Botschafter zu machen. Dies gilt aber nur, wenn er diese Rolle an- und vor allem ernst nimmt. Denn viele Fotografen ziehen zwar aus, um ihre Eindrücke der neuen, weiten Welt zu verarbeiten. Wenigen jedoch gelingt dabei der Spagat zwischen ernsthafter inhaltlicher Auseinandersetzung mit dem Sujet und stringenter Einhaltung eines künstlerischen Konzepts. Oft mutiert die Kamera leider heute zum Vehikel des Reisejournalismus‘: Perfekte, aber doch irgendwie austauschbare Hochglanzbilder bedienen die Erwartungshaltung des Betrachters. Die Botschaft bleibt flach, denn um Bekanntes zu bestätigen, braucht niemand sich hinauszuwagen.

Einer, der sich wachen Auges hinauswagt und auf Fremdes einlassen will, ist Bernd Telle. Die Botschafterrolle hat er wie kein anderer angenommen – mit all ihren Risiken, Unwägbarkeiten und Herausforderungen. In der Fotografie ist er der moderne künstlerische Botschafter der Region, der den Weg zum interkulturellen Mittler inhaltlich und formal konsequent beschreitet.

Sein Schaffen verbindet sich von Anfang an mit den Beziehungen Nürnbergs zur immer weiter werdenden Welt. Leitmotiv sind die Beziehungen zu den Partnerstädten, mit denen Nürnberg Kontakte geknüpft hat. Die Stadt tat dies insbesondere, um aufklärerisch dem Schatten der Vergangenheit entgegenzuwirken. Immer stand im Mittelpunkt, sich der Welt jenseits der Klischees von Reichsparteitagen, Nürnberger Prozesse oder mittelalterlichen Bratwurst- und Butzenscheiben-Idylle zu präsentieren und Nürnberg als „normale“, lebendige Metropole zu zeigen. Hier leben Menschen, lautete und lautet die Botschaft. Menschen, die ihre Vergangenheit annehmen und zu bewältigen versuchen. Menschen, die offen sind für Neues. Offen sind für die Welt, und den Austausch mit ihr suchen.

Es ist kein Wunder, dass Bernd Telle sich mit diesem Credo identifizieren kann. Fotografie als Kunstform muss für ihn immer auf dieser Basis gründen: offen und neugierig, kein hermetisches artifizielles Produkt, sondern lebendiges, reflektierendes und zum Austausch, zur Auseinandersetzung anregendes Medium. Die Konsequenz, mit der er arbeitet, lässt stets Betrachter stutzen, die gängigen Bildjournalismus erwarten. Eine oft gehörte Bemerkung, wenn er seine Reise-Eindrücke bei zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in der Heimat präsentiert hat: „Nie hast du was fotografiert, was man als Titelbild für ein Städteportrait hernehmen könnte.“ Doch genau hieran lässt sich seine künstlerische Intention festmachen: Wenn er unterwegs war und ebenso, wenn er wieder zuhause angekommen war und seine Eindrücke wiedergegeben hat: Es war immer Kunst, persönliches Empfinden, übersetzt in eine ganz und gar autonome, aufklärerische und vor allem niemals klischeehafte Bildsprache.

Telle beschreitet diesen Weg früh und konsequent. 1990 erhält er von Glasgow, damals Europas Kulturhauptstadt des Jahres, ein Stipendium im Rahmen der Städtepartnerschaft mit Nürnberg. 1991 schlägt er sich in die Partnerstadt San Carlos im verfemten sozialistischen Nicaragua durch, um deren Menschen abseits ideologischer Barrieren zu zeigen.

Als der Fall des Eisernen Vorhangs das Erbe der Sowjetunion freigibt, zieht es ihn mehrmals ins ukrainische Charkow und nach Krakau in Polen zur persönlichen Bestandsaufnahme, was der real nicht mehr existierende Sozialismus seinen Bürgern hinterlassen hat. Bei dieser Bestandsaufnahme und ein paar Ausstellungen bleibt es nicht, denn Telle nimmt seine Botschafterrolle ernst: Künstler aus diesen Städten sind in Nürnberg bei ihm zu Gast – es kommt zum wirklichen Austausch, zur Begegnung der Kulturen über das Medium Fotografie.

Venedig nimmt er aus anderer, moderner fotografischer Perspektive ebenso ins Visier wie 2006 die chinesische Metropole Shenzhen, wo sein persönlicher, unverwechselbarer Blickwinkel wohl am deutlichsten wird: Während sich viele Kameraperspektiven Zeitgeist-getreu in stupenden Wolkenkratzer-Phänomenen und menschlichen Ameisen-Massen erschöpfen, um den für Europa beängstigenden Wettlauf mit der aufstrebenden Wirtschaftsmacht China zu dokumentieren, blendet Telle bewusst jedes Klischee aus. Er geht ins Detail, setzt sorgsam gestaltete, aber nie aufgesetzte Alltagsszenen gegen Momentaufnahmen der atemlosen Boomtown und rückt damit den eigentlichen Sinn jeder ernst gemeinten Städtepartnerschaft wieder in den Mittelpunkt: den Menschen, der die Stadt erst ausmacht. Den Fremden, der durch die Städtepartnerschaft zum Freund werden soll.

Bernd Telle hat sich und seine Kamera damit in den Dienst der künstlerischen Botschafterrolle gestellt. Sein Auge vermittelt zwischen den Kulturen. Es zeigt lebendige Facetten statt zwanghafte Typisierung. Neugierde und Sich-einlassen-können auf die „Noch-fremden-Freunde“, Mut, den Blickwinkel der anderen anzunehmen und nicht den des eigenen Kulturkreises aufzupfropfen, zeichnen seine Arbeit aus und machen ihn zum authentischen Botschafter der Region in der Fotografie.

Ein engagierter Botschafter wirkt immer auch nach innen. Der Fotokünstler Bernd Telle tut dies bei zahlreichen Buchprojekten oder Einzel- und Gruppenausstellungen durch seine strikte konzeptionelle Stringenz. Nicht umsonst führte seine Teilnahme an der Ausstellung “Fremde Freunde“ mit der dort gezeigten Bilderserie „lookalikes“ zur Verleihung des 1. Fränkischen Kunstpreises (Fränkischer Kunstpreis 3. Preisträger). Vor allem liegt ihm immer auch am Herzen, seiner jungen Kunstgattung die gebührende Anerkennung und Wahrnehmung in der Öffentlichkeit zu erkämpfen. 2001 war er Gründungsmitglied der Fotoszene Nürnberg, der renommiertesten Plattform für Fotokunst in der Region. 2010 wurde er Gründungsmitglied und Vorstand in der fotoszene nürnberg e.V. – forum freier fotografen. Er ist Initiator und Organisator zahlreicher spektakulärer Ausstellungen. Höhepunkt war die Ausstellung im Kolosseum Nürnberg 2008. Die ehemalige Kongresshalle wurde damals zum Ausstellungsort der fotoszene nürnberg. Die Botschaft, die davon ausging und weit über die Region hinaus gehört wurde, ist Bernd Telle wie auf den Leib geschrieben: Diese Stadt und ihre Menschen können sich heute offen, kritisch, künstlerisch und abseits jedes falschen Klischees mit ihrem Erbe auseinandersetzen.