Juni 2018 | von Bernd Zachow, Nürnberger Stadtanzeiger 21/06/2018
Von wegen Abbildung der Wahrheit: Im Schloss Almoshof beleuchtet Bernd Telle in seiner Einzelausstellung „faced:gegenübergestanden“ die Porträtfotografie zwischen Charakterstudio und Maskenspiel.
Kunst entsteht nicht zuletzt aus der Unzufriedenheit mit der realen Verfassung der Welt und des Menschen. Das gilt auch und gerade für die Bildnisfotografie. Jedes Porträt ist eine Show, welche der Fotograf inszeniert und in welcher der „Fotografierte“ die Hauptrolle spielt.
Dabei versuchen beide ihre eigenen (oft genug unterschiedlichen) Wunschvorstellungen zu realisieren. Von einer Abbildung der Wahrheit kann also nicht die Rede sein. Diese Tatsache für jeden Betrachter erkennbar zu machen, ist die große Stärke der in Almoshof gezeigten Arbeiten von Bernd Telle.
Wenn er zum Beispiel hin und wieder in alltäglichen, nicht-inszenierten Settings anonyme Besucherinnen und Besucher von Kunstausstellungen und -messen ablichtet, zeigen seine Bilder in aller Regel überdeutlich die bewusste oder unbewusste Neigung der fotografierten Menschen, sich in Szene zu setzen. Sie bemühen sich um Formen der Körperhaltung und der Mimik, von denen sie annehmen, dass diese auf einem Foto gut aussehen. Der Fotograf kann das aufgrund seiner Macht über die technischen Mittel unterstützen, konterkarieren oder ad absurdum führen.
In jedem Fall bewusste Fälle von Selbst-Darstellung domumentieren Bernd Telles von spürbarer Sympathie getragene Porträts von Künstlerinnen, Künstlern und Kunstvermittlern wie Meide Büdel, Hubertus Hess, Fred Ziegler, Traude Näke und Annette Oechsner. Dennoch ist auch hier die Einflussnahme des Fotografen stehts offensichtlich: Er bestimmt den Bildausschnitt, die Bildperspektive, die Beleuchtung und die allgemeine Gestaltung des Bildraumes.
Die merkwürdigen, irritierenden Dinge, welche er nicht selten den Porträtierten in die Hand gibt, anmimieren den Betrachter unweigerlich zu der Überlegung, dass jene Gegenstände geheime Hinweise auf spezielle Charaktereigenschaften des Abgebildeten sein könnten.
Eine zentrale Bedeutung im vielseitigen fotografischen Gesamtwerk von Bernd Telle hat die konzeptuelle Serie „lookalikes”. Das sind Selbstbildnisse des Künstlers als Doppelgänger von Berühmtheiten sowie von aktuell Prominenten. Telle begreift es als die höchste Form der Annäherung an die Persönlichkeit eines Modells, zeitwilig in dessen Rolle zu schlüpfen.
Die Kunst der (Ver-)Stellung.
Doch ist ihm stets klar, dass es ich dabei eben nur um die Nachahmung der Oberfläche handelt, wenn er als Albrecht Dürer, Veit Stoß oder Adam Kraft auftritt. Von allen drei Künstlern kennen wir nur die für Öffentlichkeit bestimmte und daher gewiss idealisierte (Selbst-) Darstellung.
Wie viel Ver-Stellung auch der Beruf des Politikers zu fordern scheint, wird von Telle angedeutet, wenn er sich mithilfe einer professionellen Visagistin die Masken von Oberbürgermeister Ulrich Maly oder Ministerpräsident Markus Söder aufsetzt. Die dann von ihm gezeigten Gesichter erscheinen seltsam erstarrt im permanenten Bemühen, eine dem Wahlvolk hoffentlich dauerhaft imponierende Mischung aus Würde, Entschlossenheit und Jovialität zu mimen.
Als die Summe populärer Rollenklischees plante Bernd Telle schließlich eine weitere Bildnisreihe zum höchst aktuellen Thema Migration. Er verwandelte sich in einen jeweils vermeintlich typischen Süditaliener, Levantiner, Anatolier, Afrikaner oder Osteuropäer. Deren überlebensgroße fotografische Abbilder wirken in den Räumen eines Patrizierschlösschens mitten im Knoblauchsland nur dann sehr fremd und vielleicht sogar bedrohlich, wenn die vom Künstler beabsichtigte Veranschaulichung des Allgemeinmenschlichen hinter den Masken nicht erkannt wird.